Alicia Ernst – informelle Kommunikation im Homeoffice

Verbunden oder erschöpft?

Eine Experience-Sampling Befragung zu informeller Kommunikation im Homeoffice

 

Der Hintergrund.

Vollzeit im Homeoffice, Kolleg*innen nur noch auf kleinen Bildschirmkacheln begegnen, Chatten anstelle kurzer Plaudereien auf dem Büroflur: Die COVID–19-Pandemie hat durch Lockdown-Verordnungen die Arbeitswelt grundlegend und nachhaltig verändert – damit auch die informelle Kommunikation unter Arbeitnehmer*innen eines Unternehmens.

Informelle Gespräche, beispielsweise an der Kaffeemaschine, werden oft als „sozialer Kleber“ des Unternehmens bezeichnet und sind eine wertvolle Ressource für die soziale Eingebundenheit der Mitarbeitenden und ihr Wohlbefinden während der Präsenzarbeit. Da Teams im Homeoffice räumlich verstreut sind, fallen allerdings viele Gelegenheiten für informelle Gespräche weg. Man kann sich beispielsweise nicht mehr einfach spontan auf dem Flur begegnen. Diesen Mangel kompensieren Arbeitnehmer*innen, indem sie technologisch vermittelte Kommunikationskanäle (z.B. Chats, (Video-)Telefonie) nutzen. Einschlägige Forschung und der öffentliche Diskurs deuten jedoch darauf hin, dass ausschließlich technologisch vermittelte informelle Kommunikation unpersönlicher und anstrengender sein könnte als Begegnungen während der Präsenzarbeit und daher nicht dieselben Vorteile mit sich bringen kann (z.B. unter dem Stichwort „Zoom-Fatigue“).

Da wenig aktuelle Forschung über informelle Kommunikation und Wohlbefinden im Homeoffice vorlag, hatte sich die Masterarbeit zum Ziel genommen, diesen Zusammenhang möglichst nah an einzelnen informellen Gesprächen zu beleuchten.

Die Methode.

Zum Erforschen des Zusammenhangs wurde die Experience Sampling-Methode gewählt. Durch diese Methode wurden mindestens teilweise im Homeoffice-tätige Arbeitnehmer*innen eine Arbeitswoche lang jeweils fünfmal während ihres Arbeitstages per Handy-App eingeladen, einen Kurzfragebogen auf ihrem Smartphone auszufüllen. In diesem wurden sie nach ihrem letzten Gespräch mit Kolleg*innen während der vergangenen Stunde befragt. Der Fragebogen war immer zu unterschiedlichen Zeiten verfügbar. Ein sechster Fragebogen wurde zum Feierabend verschickt.

Die Methode hat unter anderem den zentralen Vorteil, dass die Teilnehmer*innen weit zurückliegende Gespräche zu einem späteren Zeitpunkt nicht im Kopf zusammenfassen und rekonstruieren müssen. Denn dabei verschätzen sich Menschen allzu leicht und es entstehen oft Verzerrungen in den Daten. Stattdessen können mehrere Messzeitpunkte gesammelt werden, die sich lediglich auf einen kurzen Zeitraum (bspw. die letzte Stunde) beziehen. Die Geschehnisse der letzten Stunde bleiben meist leichter im Kopf als die der letzten Woche.

Trotz der Vorteile der Methode, erforderte die Teilnahme viel Commitment für die Arbeitnehmer*innen, weswegen zielgruppenspezifische Teilnahmeanreize zum Gelingen der Studie unabdingbar beitrugen. Die Alumni-Stiftung der Mainzer Publizisten unterstützte die Studie daher im Rahmen ihres Nachwuchsförderprogrammes mit einem Zuschuss im Wert von insgesamt 200 €. Von diesem Geld konnten Gutscheine unter allen Teilnehmer*innen verlost und wichtige Teilnahmeanreize geschaffen werden.

 

Zentrale Ergebnisse & Learnings.

In der finalen Stichprobe landeten 34 Arbeitnehmer*innen aus diversen Dienstleistungsberufen in einer Altersspanne von 22 bis 69 Jahren. Diese stellten insgesamt 723 Messzeitpunkte zur Analyse bereit. Ergebnisse statistischer Auswertungen zeigten Folgendes:

Ø  Gespräche, die informeller als gewöhnlich für die jeweiligen Teilnehmer*innen waren, von ihnen auch bedeutsamer, persönlicher, tiefgründiger und angenehmer wahrgenommen wurden bzw. mit mehr Selbstoffenbarung einher gingen. Dieser Zusammenhang zwischen der Informalität eines Gesprächs und den wahrgenommenen Gesprächscharakteristika war jedoch durchschnittlich und traf nicht auf alle Angestellten zu: für einige Angestellte waren informelle Gespräche eher unbedeutend, unpersönlich oder unangenehm.

Ø  Unter allen informellen Interaktionen hingen Gespräche, die im Schnitt bedeutsamer, persönlicher oder angenehmer waren, mit intensiveren Verbundheitsgefühlen gegenüber den Gesprächspartner*innen zusammen. Als anstrengender wurden sie allerdings nicht wahrgenommen.

Ø  Ein großer Teil des Forschungsinteresses lag zusätzlich bei der Kanalmodalität: Ob ein informelles Gespräch per Text, per Audio oder audiovisuell stattfand übte keinen Einfluss auf die Zusammenhänge zwischen den Gesprächscharakteristika (bspw. Bedeutsamkeit) sowie den Verbundenheitsgefühlen und der aufgewendeten Energie informeller Kommunikation aus. Jedoch zeigte sich, dass im Vergleich zu audiovisueller Kommunikation (z.B. „Zoom-Calls“), Text-Gespräche (bspw. Chats) mit geringeren Gefühlen von Verbundenheit, aber auch mit weniger Energieaufwand einher gingen. Informelle Kommunikation per Text ist demnach weniger anstrengend als audiovisuelle, schafft aber auch weniger „Connection“ und vice versa.

Ø  Weitere signifikante Zusammenhänge legen nahe, dass an Tagen, an denen Angestellte während informeller Gespräche mehr Verbundenheit als sonst empfanden, diese sich lebendiger und weniger erschöpft am Feierabend fühlten.

Die Studie kann damit aufzeigen, dass informelle Gespräche zwar unterschiedlich von Arbeitnehmer*innen wahrgenommen werden, diese dennoch durchschnittlich positiv besetzt sind. Des Weiteren legen die Ergebnisse nahe, dass informelle Gespräche Verbundenheit unter Arbeitnehmer*innen fördern und potenziell das Energielevel am Abend positiv beeinflussen.

Obwohl die Studie wertvolle, situative Einblicke in den Zusammenhang von informeller Kommunikation und Wohlbefinden bietet, können die Befunde aufgrund von Limitationen (bspw. die optimierbare Anzahl der befragten Personen sowie die Anzahl der Situationsdaten) bislang nicht verallgemeinert werden.


Weitere Laufbahn des Projekts.

Die Masterarbeit wurde als Forschungsposter auf der Jahrestagung der International Communication Association angenommen und im Mai 2022 vor Ort in Paris präsentiert. Das Poster erhielt von der Fachgruppe „Communication and Technology“ den Preis für das Top Poster.


Herzlichen Dank an die Alumni-Stiftung für die Förderung und das Vertrauen in das Projekt!